3. Mai 2001

TIBET INFORMATION NETWORK

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"Eine wichtige politische Verantwortung":
Jahrestag des 17-Punkte Abkommens in Tibet

Die chinesische Regierung gab bekannt, daß in den nächsten vier Monaten zur Erinnerung an den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des umstrittenen 17-Punkte-Abkommens am 23. Mai 1951 eine Reihe von Feiern stattfinden werden. Die Vertragsbestimmungen des 17-Punkte-Abkommens, welches dem damals von der tibetischen Regierung in Lhasa verwalteten Territorium kulturelle und politische Autonomie zusicherte, wurden aufgehoben, als China als Reaktion auf den Aufstand vom März 1959 das politisches System änderte und 1965 die Autonome Region Tibet gründete. Pekings Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung dieses Abkommens (mit dem offiziellen Titel "Vereinbarung der Zentralen Volksregierung mit der Lokalen Regierung Tibets über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets") dieses Jahr zeigt, daß sich die chinesische Regierung weiterhin auf dieses Dokument als Mittel zur Legitimierung ihres Anspruches auf tibetische Gebiete stützt.

Berichten aus Lhasa zufolge wurden staatliche Kulturzentren, Gemeindegruppen und Schulen bereits informiert, daß die Teilnahme an den Feiern "eine wichtige politische Pflicht" sei. Die Behörden betonten, die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Verhinderung von Äußerungen von Dissens hätten Priorität bei der Begehung dieses heiklen politischen Jahrestages, die zu einer ausgedehnteren Propagandakampagne Pekings gehört.

Die Behörden benutzen den Jahrestag vom Mai als Gelegenheit, ihre Politik der Wirtschaftsentwicklung zu propagieren und die Aufmerksamkeit auf die Integration der tibetischen Gebiete in das "Mutterland" zu lenken. Die offizielle chinesische Presse brachte in letzter Zeit eine Reihe von Artikeln, die auf Tibets Fortschritt im Laufe der letzten 50 Jahre seit der "friedlichen Befreiung" durch China hinweisen und die Tibeter auffordern, "den Dalai Lama anhaltend bloßzustellen und zu tadeln, bis wir einen vollständigen Sieg in dem Kampf gegen den Separatismus errungen haben" (Tibet Daily, 5. April). Das Blatt stellte fest, der Jahrestag liefere eine "seltene Chance", eine "breit angelegte und tief dringende ideologische Erziehung" in puncto Patriotismus und Sozialismus durchzuführen.

Berichten aus Lhasa zufolge betonen die Regierungsstellen in der TAR seit Anfang dieses Jahres die politische Bedeutung des Jahrestages. Seine Begehung am 23. Mai wird wahrscheinlich auf dem Platz vor dem Potala stattfinden, und es heißt, die Sicherheitsvorkehrungen dort seien bereits verstärkt worden. Tibet Daily hob die Rolle der chinesischen Volksbefreiungsarmee bei der "friedlichen Befreiung Tibets" hervor, sowie die "wichtige Rolle, welche die in Tibet stationierten Truppen, die bewaffnete Volkspolizei und die Kader der öffentlichen Sicherheit und die Polizeioffiziere in jeder historischen Periode beim Aufbau des neuen Tibets spielten" (5. April). Von der örtlichen tibetischen Bevölkerung wird allgemein eine Teilnahme an den Feiern erwartet - vor dem 50. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1999 wurde Tibetern mit der Kürzung ihrer Bezüge oder Pensionen gedroht, wenn sie nicht die Feier mitmachen.

Die Chinesen heben diesen 50. Jahrestag als einen besonders wichtigen Teil einer ausgedehnten Propaganda Kampagne hervor, weil das 17-Punkte Abkommen das einzige sowohl von Tibetern als auch von Chinesen unterzeichnete Dokument ist, das für Peking die Integrierung des Gebietes, welches die Autonome Region Tibet wurde, in das "Mutterland" darstellt. Dabei hielten sich die Chinesen niemals an die Bedingungen des 17-Punkte Abkommens, insbesondere nicht an die Verpflichtung der Zentralregierung, von einer Änderung des "bestehenden tibetischen politischen Systems" abzusehen, sowie die folgende Zusicherung: "Was die verschiedenen Reformen in Tibet betrifft, wird es keinen Zwang seitens der Zentralregierung geben, die Lokalverwaltung Tibets hat die Reformen aus eigenem Antrieb durchzuführen". Im Anschluß an den Aufstand in Lhasa und die Flucht des Dalai Lama ins Exil verkündete der Staatsrat Chinas im März 1959, daß die tibetische Regierung rechtskräftig aufgelöst wurde, um von dem "Vorbereitenden Komitee der Autonomen Region Tibets" abgelöst zu werden. Die Einrichtung der Autonomen Region Tibet in 1965 bestätigte erneut, daß die Chinesische Regierung sich nicht mehr an das 17-Punkte Abkommen hält und das Ausmaß an Autonomie, welches die Tibeter in politischen Geschäften genießen, davon bestimmt wird, was China ihnen einzuräumen bereit ist. In dem 17-Punkte-Abkommen hieß es auch, daß die religiösen Überzeugungen, Bräuche und Traditionen des tibetischen Volkes respektiert werden und die Klöster geschützt würden. Der Dalai Lama und die tibetische Regierung im Exil führen aus, daß das 17-Punkte-Abkommen erstens unter Zwang unterschrieben wurde und China sich zweitens niemals an seine Verfügungen gehalten hat.

Die Feiern zu diesem Jahrestag stehen in engem Zusammenhang mit Pekings Kampagne zur Entwicklung der Westlichen Regionen Chinas, einschließlich der tibetischen Gebiete. Der Artikel vom 5. April in Tibet Daily erklärt, der Jahrestag biete Kadern und den "Angehörigen jeder ethnischen Volksgruppe" eine Gelegenheit, "ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, daß die umfassende und koordinierte soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Tibets der große Sieg ist, welchen die Integrierung der ethnischen, von der Partei betriebenen Politik mit den tatsächlichen Zuständen in Tibet brachte". Ethnische Identität und Kultur, besonders die Religion, werden von Peking als Hindernisse für die Entwicklung dargestellt: Die Bedeutung, die dem Jahrestag des 17-Punkte-Abkommens nun beigemessen wird, unterstreicht die offizielle Prämisse, wonach die Interessen der Tibeter oder von "Minoritäten-Nationalitäten" mit denjenigen der Han Chinesen identisch sind.

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